Die grosse Pfeilerhalle
Zeichnung: D. Roberts
Nord- und südliche Portalwand: Der siegreiche Pharao
Durchgangswand zur kleinen Pfeilerhalle: Ramses in der Gemeinschaft der Götter
Nordwand: Die Schlacht von Qadesch
Durch den in der Mitte der Tempelfassade gelegenen Eingang gelangt man ins Tempelinnere und betritt zunächst die grosse Pfeilerhalle. Sie entspricht dem offenen Säulensaal freistehender Tempel. Beidseitig des Mittelganges stehen je vier Pfeiler, die zum Gang hin als Statuen des Königs in der Haltung des Gottes Osiris mit Geissel und Krummstab gestaltet sind. Die Statuen zur Nordseite tragen die Doppelkrone, diejenigen zur Südseite die weisse Krone. Die übrigen Pfeilerseiten sind jeweils in zwei Registern mit Kultszenen dekoriert, wobei mit wenigen Ausnahmen immer der König beim Vollzug der Opferhandlungen dargestellt ist. Ebenso wie die Kolossalstatuen vor der Tempelfassade tragen die Osiris-Statuen Epitheta des Königs: Ḥqз-tзwj, Mrj-Jmn, Mrj-Jtmw, Mrj-Rʿ, Mrj-Ḥr-зḫtj. Die Decke des Mittelgangs ist mit einer Folge von Bildern der geflügelten Geiergöttin Nechbeth dekoriert, die Decken der beiden Seitengänge mit Sternen.
Das Bildprogramm an den Wänden der grossen Pfeilerhalle zeigt Ramses II. als siegreichen Kriegsherrn und pflichtbewussten Herrscher, zugleich wird dargestellt, wie Rames II. sich selbst in die Gemeinschaft der Götter einschliesst.
- Nordwand: Die Schlacht von Qadesch
- Südwand: Der siegreiche Pharao
- Portalwand Norden: Ramses „bündelt“ Libyer vor Re-Harachte
- Portalwand Süden: Ramses „bündelt“ Asiaten vor Amun-Re
- Durchgangswand zur kleinen Pfeilerhalle: Ramses in der Gesellschaft der Gottheiten Re-Harachte und ʿJws
- Durchgangswand zur kleinen Pfeilerhalle, Südwand: Ramses in der Gesellschaft der Gottheiten Amun-Re und Mwt
An der Westwand befinden sich beidseitig des Durchgangs zur Kleinen Pfeilerhalle die Eingänge zu je drei symmetrisch angelegten Räumen. Jeweils über einen Vorraum gelangt man zu zwei parallel nebeneinander liegenden Kammern. Die Eingänge zu zwei weiteren Räumen befinden sich an der Nordwand. Über die Funktion diese acht Räume herrscht eine gewisse Unklarheit. Da Tempel in Ägypten immer auch Wirtschaftsbetriebe waren, könnte es sich bei diesen Räumen um Lagerräume sowie Magazine handeln, sie könnten aber auch die Aufbewahrungsorte für Kultgeräte gewesen sein. Einen Hinweis auf eine weitere Funktion gibt eine Inschrift, in der es heisst: “Das Errichten von prächtigen Schatzhäusern im Inneren des Tempels aus gutem Sandstein, mit allerlei prächtigen Steinen”, d.h. die Räume könnten Schatzkammern gewesen sein. Das Bildprogramm der Räume bei der Westwand weist auf Rituale, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Sedfest-Feierlichkeiten vollzogen wurden. Der Zusammenhang zwischen Raumfunktion und Wandreliefs konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden.
Nord- und südliche Portalwand: Der siegreiche Pharao
Die kriegerischen Szenen an den Wänden der grossen Pfeilerhalle sollen Ramses II. als siegreichen König und überlegenen Herrscher zeigen. Auf der Nord-, Ost- und Südwand der grossen Pfeilerhalle befinden sich Szenen, die Ramses II. als Herrscher zeigen, der seiner von Gott auferlegten Pflicht – die Abwehr der Feinde Ägyptens – nachkommt. Das traditionelle Motiv vom “Erschlagen der Feinde”, das bei freistehenden Tempeln auf Pylonen und Umfassungsmauern angebracht ist, ist im Re-Harachte-Tempel in die grosse Pfeilerhalle verlegt. Dieses Motiv fand seine erste künstlerische Ausformung auf der Schminkpalette des Königs Narmer (um 3000 v. Chr.) und gilt seither als die symbolische Darstellung eines der wichtigsten Wesensmerkmale des ägyptischen Königs. Auf den beiden Wänden rechts und links vom Portal befinden sich zwei Reliefs, die den Königs in der klassischen Haltung des “Erschlagens der Feinde” darstellen. Ramses steht mit erhobener Keule schwungvoll ausschreitend vor einer Gruppe von Gefangenen, die um Gnade flehend am Boden knien, und die Ramses “bündelt”, d.h. er packt sie an den Haaren und ist im Begriff, sie zu erschlagen. In der Szene auf der nördlichen Portalwand steht Ramses Re-Harachte gegenüber, der ihm das ḫpš – das typische ägyptische Sichelschwert – reicht. Über Ramses schwebt schützend die Geiergöttin Nechbet. Unter dem Bild befindet sich ein Register mit der Darstellung von neun namentlich genannten Prinzessinnen. In der Szene auf der südlichen Portalwand steht Ramses vor Amun-Re, der ihm ebenfalls das Sichelschwert reicht. Unter diesem Relief befindet sich die eingangs erwähnte “Prinzenliste” mit der Darstellung von acht Prinzen, deren Namen ebenfalls aufgeführt sind.
Die im unteren Register des Reliefs auf der Südwand des Pronaos dargestellte Szenenfolge verherrlicht ebenfalls Ramses II. und seine militärischen Erfolge. Die Szenen beziehen sich nicht auf bestimmte historische Ereignisse, sondern veranschaulichen allgemeingültig herausragende Eigenschaften des Königs sowie dessen Erfolge: Mut und Tapferkeit sowie Sieg über die Feinde Ägyptens und die Eroberung fremder Städte.
Die Szene links aussen zeigt Ramses, der als siegreicher Held nach Ägypten zurückkehrt. Er steht hoch aufgerichtet auf seinem Streitwagen, er trägt die blaue Kriegskrone und wird von einem Kampflöwen begleitet. Vor ihm treibt ein Soldat eine Gruppe gefangener Nubier an, die mit einem Strick aneinander gefesselt sind.
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Die Szene im Zentrum des Reliefs zeigt, wie Ramses zwei feindliche Libyer bezwingt: mit weit ausholendem Schritt und erhobenem Speer ergreift er den Arm eines Mannes, um diesen zu durchbohren, zugleich tritt er einen bereits besiegten und am Boden liegenden Libyer nieder.
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Auf der rechten Seite des Reliefs ist Ramses II. beim Angriff auf eine syrische Festung dargestellt. Mit gespanntem Bogen stürmt er vorwärts. Auch hier trägt er die blaue Kriegskrone, über ihm schwebt wiederum die Schutzgöttin Nechbet und begleitet wird er von dreien seiner Söhne. Die Verteidiger der Festung werden von Pfeilen durchbohrt, und man sieht, wie eine Frau über die Brüstung stürzt. Auf dem Hügel ausserhalb der Festung versucht ein Hirte mit seiner Herde vor den Angreifern zu fliehen.
Zeichnungen nach: W. Wreszinski – Atlas zur altägyptischen Kulturgeschichte
Durchgangswand zur kleinen Pfeilerhalle: Ramses in der Gemeinschaft der Götter
Beidseitig des Durchgangs zur kleinen Pfeilerhalle befinden sich Reliefs, die in Bezug auf den Vergöttlichungsprozess Ramses’ II. bedeutsam sind. Auf beiden Reliefs ist dargestellt, wie Ramses Gefangene vor eine Triade führt. Deutlich ist zu erkennen, dass sowohl das Bildprogramm wie auch die Beischriften auf beiden Reliefs geändert wurden.
Auf dem Relief rechts vom Durchgang (Nordseite) sind drei, in einer Kapelle sitzende Götter dargestellt, denen Ramses aneinander gefesselte Gefangene präsentiert. Die in senkrechten Kolumnen angebrachte Beischrift nennt allerdings nur die Namen zweier Gottheiten: den Namen des Gottes Re-Harachte und denjenigen der löwenköpfigen ʿJws von Heliopolis. Auf die zwischen den beiden Götterfiguren sitzende dritte Figur nimmt die Beischrift keinen Bezug. Deutlich ist zu erkennen, dass an diesem Relief Korrekturen vorgenommen wurden. Hinter der Gestalt der ʿJws sieht man die Umrisse eines früheren Bildes: die Figur der ʿJws wurde ausgemeisselt und etwas zurückversetzt neu wieder eingeritzt, um damit Platz für die dritte Figur – Ramses – zu schaffen. Ramses liess das Bild des Götterpaares zu einer Triade erweitern, indem er sein eigenes Bild als das des “göttlichen Kindes” hinzufügen liess. Die Wand konnte nicht mehr vollständig geglättet werden, sodass Spuren des ursprünglichen Bildes sichtbar blieben. Das Figur des Ramses konnte gerade noch auf knappstem Raum zwischen dem Bild der ʿJws und demjenigen des Re-Harachte eingefügt werden. Für die Beischrift blieb auch nur noch wenig Platz: in einer waagrechten Zeile wurde sie über dem Bild der Triade angebracht. Ramses in der Gemeinschaft der Götter trägt die Sonnenscheibe auf dem Kopf, den Götterbart, den Uräus an der Stirn und über dem Ohr ringelt sich die Jugendlocke. Als siegreicher Pharao führt er die Gefangenen den Göttern vor und huldigt zugleich als Mensch seinem vergöttlichten Abbild.
Die Beischrift über der Triade:
ḏd mdw jn Ḥr-зḫtj nṯr ʿз nb pt ḥrj-jb pз pr Rʿmss mrj Jmn – Worte werden gesprochen von Re-Harachte, dem grossen Gott, Herr des Himmels, im Haus des Ramses:
dj.n.j n.k qnt r rsj nḫt r mḥt mj Rʿ ḏt sp 2 – Ich habe dir gegeben Kraft gegen den Süden und Sieg über den Norden wie Re, ewig, ewig
dj.n.j n.k ḏfз nb – Ich habe dir gegeben alle Nahrung
dj.n.j n.k tзw ḫзswt – Ich habe dir gegeben Länder und Fremdländer
dj.n.j n.k зwt jb nb ḫr.k – Ich habe dir gegeben alle Freude
ḏd mdw jn ʿз-Jws ḥnwt Jwnw – Worte werden gesprochen von Jws, Herrin von Heliopolis
ḏd mdw dj.n.j n.k snb nb ḫr.k – Worte werden gesprochen: Ich habe dir gegeben alle Gesundheit
Die Beischrift über der Figur des Ramses:
ḏd mdw jn Rʿ-msj-sw mrj Jmn dj.n.j n.k ʿnḫ wзs nb – Worte werden gesprochen von Ramses, geliebt vom Amun: ich habe dir gegeben Leben und alle Herrschaft
Auf der Wand links vom Durchgang befindet sich eine ähnliche Szene. Ramses präsentiert hier Amun-re und Mwt gefangene Nubier. Auch auf diesem Relief sind die Spuren einer Korrektur zu sehen. Hier blieb der Umriss der Gestalt der Mwt sichtbar, die sich ehemals unmittelbar hinter derjenigen des Amunr-re befunden hatte. Auch auf diesem Relief wurde das Bild der beiden Gottheiten zu einer Triade erweitert – das Götterpaar mit dem göttlichen Kind Ramses. Wie in der gegenüber liegenden Darstellung nimmt der wiederum in senkrechten Kolumnen angebrachte Begleittext nur auf Amun-Re und Mwt Bezug. Der für die Beischrift zum Bild des Ramses zur Verfügung stehende Platz reichte gerade noch so weit, dass der Künstler diese zwischen das Bild der Triade und den Begleittext – allerdings nicht mehr ganz waagrecht – “zwängen” konnte. Auch hier stellt sich Ramses in der Gemeinschaft der Götter dar und huldigt seinem eigenen Bild.
Die Beischrift über der Triade:
ḏd mdw jn Jmn-rʿ ḫntj Jpt-swt – Worte werden gesprochen von Amun-re, Gebieter von Karnak
ḏd mdw dj.n.j n.k qnt nḫt nb – Worte werden gesprochen: ich habe dir gegeben Stärke und jeden Sieg
ḏd mdw dj.n.j n.k. tзw ḫзswt ẖr ṯbtj.k – Worte werden gesprochen: ich habe dir gegeben die Länder und Fremdländer unter deine Sohlen
ḏd mdw dj.n.j n.k ʿḫʿw n Rʿ – Worte werden gesprochen: ich habe dir gegeben die Lebenszeit des Re
ḏd mdw jn Mwt wrt nbt Jšrw wsrt ḥnwt Jpt-swt – Worte werden gesprochen von der grossen Mwt, Herrin im Tempel von Karnak, der Starken, Herrin von Karnak
ḏd mdw dj.n.j n.k nḥḥ m ḥb – Worte werden gesprochen: ich habe dir gegeben die Ewigkeit als Fest
Die Beischrift über der Figur des Ramses:
ḏd mdw jn Rʿ-msj-sw mrj Jmn dj.n.j n.k ʿnḫ wзs nb – Worte werden gesprochen von Ramses, geliebt vom Amun: ich habe dir gegeben Leben und alle Herrschaft
Zeichnungen nach: Walter Wreszinski, Atlas zur altägyptischen Kulturgeschichte
Nordwand: Die Schlacht von Qadesch
Edition, Transliteration und Übersetzung
In der grossen Pfeilerhalle des Tempels befindet sich an der Nordwand eine Darstellung der Schlacht von Qadesch 1285 v. Chr. Diese Schlacht war der Höhepunkt der kriegerischen Auseinandersetzungen Ramses’ II. mit dem Hethiterreich gewesen und wurde zur berühmtesten Schlacht in der ägyptischen Geschichte. Weitere Darstellungen dieses aussen- wie auch innenpolitisch bedeutenden Ereignisses finden sich in Luxor, Abydos, Karnak, im Ramesseum und auf Papyri, insgesamt existieren 13 Versionen.
Die Hethiter waren im 3. Jahrtausend vor Chr. aus dem Kaukasus oder, wie auch vermutet wird, aus der Region um die untere Donau in das Gebiet der heutigen Türkei gekommen und hatten dort gesiedelt. Im Alten Testament wird dieses Volk „Chittim“ (Hittim) genannt, Luther übersetzte den Namen mit dem Begriff „Hethiter“, der als ethnographische Bezeichnung erhalten blieb. Das von den Hethitern gegründete Königreich nannten die Assyrer Hatti. Das anfänglich recht kleine Königreich entwickelte sich im Laufe des 2. Jahrtausends vor Chr. zu einem mächtigen Grossreich, dessen Hauptstadt Hattuscha (heute Boghazköy) war. Zwischen Ägypten und dem Hethiterreich kam es immer wieder zu militärischen Konfrontationen, wobei syrisches Gebiet, das von den Ägyptern erobert worden war, im Zuge der Auseinandersetzungen unter die Herrschaft der Hethiter geriet. Als schliesslich auch das Reich Mitanni, einst Ägyptens Gegner, im Kampf gegen die Hethiter aber dessen Verbündeter, durch die Hethiter zerstört wurde, waren Ägypten und das Hethiterreich Nachbarn geworden. Während der 18. Dynastie herrschte zwischen den beiden Staaten eine Art „labiles Gleichgewicht“, das jedoch durch die so genannte Dachamunzu-Affäre erheblich gestört wurde. Worum es dabei ging, ist nur in hethitischen Quellen überliefert: eine verwitwete ägyptische Königin bat den Hethiterkönig Suppiluliuma um einen Prinzen als Gemahl, da ihr verstorbener Ehemann keine Söhne hinterlassen hatte. Da die Königin in den Briefen nur mit ihrem Titel, Dachamunzu – Frau des Königs, und nicht mit ihrem Namen angeredet wird, ist ihre Identität strittig: vermutlich handelte es sich um die Witwe Tutanchamuns, Anchesenamun, aber es könnte sich auch um Nofretete als Witwe Echnatons gehandelt haben. Trotz anfänglichen Misstrauens gab Suppiluliuma der Bitte nach und schickte seinen Sohn, den Prinzen Zananza, nach Ägypten. An der Grenze zu Ägypten wurde der Prinz jedoch ermordet, worauf Suppiluliuma gegen die Ägypter in den Krieg zog. Zunächst war er erfolgreich, aber der Ausbruch einer Seuche dezimierte nicht nur das hethitische Heer erheblich, sondern auch Suppiluliuma selbst fiel der Seuche zum Opfer, und die kriegerischen Auseinandersetzungen kamen zunächst zum Stillstand. Durch ihre aggressive Expansionspolitik war es den Hethitern gelungen, ihre Machtposition in Syrien zu festigen, und die von den Ägyptern eroberten Gebiete standen nun unter hethitischer Oberhoheit. Zwar hatte Sethos I. einen Teil des ehemaligen ägyptischen Territoriums in Syrien zurückgewinnen können, die Grenzen des ägyptischen Einflussbereiches waren aber stark beschnitten worden. Als Ramses II. den Thron bestieg, war er in seinem Streben nach machtpolitischem Prestige fest entschlossen, die Vormachtstellung der Hethiter in Syrien zu brechen und die Grenzen des ägyptischen Reiches wieder in der Grösse wie zur Zeit der 18. Dynastie herzustellen. In seinem 4. Regierungsjahr führte er seinen ersten Feldzug in Syrien, dessen Ergebnis die Rückeroberung des Fürstentums von Amurru war. Dem Machtanspruch Ramses’ II. trat der Hethiterkönig Muwatalli entgegen, und bei der Stadt Qadesch am Orontes kam es zur Schlacht zwischen den Hethitern und Ägyptern. Ramses II. war von Ramsesstadt im Ostdelta mit vier Divisionen, von denen jede den Namen eines Gottes trug (Amun, Re, Ptah und Seth) trug, über Palästina bis in den Südlibanon gezogen. Insgesamt umfasste sein Heer ca. 20000 Mann, Muwatallis war mit 3500 Streitwagen angetreten. Vor Qadesch geriet Ramses in eine Falle der Hethiter: zwei als Überläufer getarnte Beduinen machten falsche Angaben über Muwatallis Absichten, indem sie Ramses erzählten, der Hethiterkönig sei aus Furcht vor Ramses nach Aleppo geflohen. Ramses glaubte die Geschichte, marschierte mit der von den übrigen drei Divisionen getrennten Amun-Division weiter nach Norden und überquerte den Orontes. Muwatalli gelang es, Ramses zu täuschen, und in einem Überraschungsangriff konnten die Hethiter dem ägyptischen Heer schwere Verluste zufügen. Ramses und seine Amun-Division wurden umzingelt, und die Re-Division wurde vernichtet. Die Wagenlenker flohen und liessen Ramses im Stich. In dieser verzweifelten Situation flehte der König in dem berühmten „Gebet“ an „seinen Vater“ Amun um Hilfe. Das rechtzeitige Eintreffen einer Sondertruppe verhinderte die totale Niederlage und ermöglichte den Ägyptern die Flucht. Trotz ihrer militärischen Überlegenheit schlossen die Hethiter mit Ramses einen Waffenstillstand, der im Jahre 1268 v. Chr. zum Abschluss eines Friedensvertrages zwischen den verfeindeten Parteien führte. Dieser Vertrag, der durch die Eheschliessung Ramses II. mit einer Tochter des Hethiterkönigs Hattuschili III., Mat-hor-neferu-ra, besiegelt wurde, ging als erster Friedensvertrag in die Geschichte der Menschheit ein. Dieses Ereignis ist auf der so genannten Hochzeitsstele festgehalten, die anlässlich der Eheschliessung in die südliche Aussenwand des Tempels gemeisselt wurde. Die Prinzessin erscheint dort zusammen mit ihrem Vater, und im Text werden die Hethiter als rmṯw – Menschen – bezeichnet, ein Ausdruck, der normalerweise nur für Ägypter verwendet wird. Die Prinzessin erhielt den Titel „Grosse königliche Gemahlin“.
In der Schlacht von Qadesch hatte Ramses II. mit Mühe eine Katastrophe verhindern können, aber trotz des unrühmlichen Endes wurde in zeitgenössischen Darstellungen die Situation beschönigt beziehungsweise verfälscht. Die Darstellungen auf den diversen Tempelwänden feiern Ramses II. immer als grossen Sieger. Die Abfolge der Szenen stellt das Kriegsgeschehen nicht mehr als „mythisch-allgemeine“ Schilderungen des über seine Feinde triumphierenden Pharao dar, sondern die Bilder weisen die Schlacht als historisch greifbaren Vorgang aus. In der kulturhistorischen Forschung wird das definitive Ergebnis dieser Schlacht als weltgeschichtlich bedeutsam gewürdigt: Ramses II. gelangte nach den Erfahrungen dieser Konfrontation zu einer „neuen Sicht der Dinge“ (Assmann) und konnte die Friedenszeit in einem Land zu einem erstrebenswerten Ziel erklären. Das Ergebnis: nach dem Friedensschluss herrschte 38 Jahre lang Friede – bis zum definitiven Untergang des Hethiterreiches, das dem Ansturm der Seevölker nicht mehr gewachsen war.
Die Darstellung der Schlacht füllt die gesamte Nordwand der Grossen Pfeilerhalle aus. In zwei grossen übereinander angeordneten Registern wird der Verlauf der Ereignisse bildlich mit erklärenden Beischriften – in senkrechten Kolumnen – dargestellt. In der unteren Bildfläche ist von links nach rechts der Aufmarsch der ägyptischen Wagentruppen sowie der Fusssoldaten zu sehen, das Lagerleben, die Versorgung der Pferde, das königliche Zelt, militärisches Training der Soldaten und auch eine Szene, in welcher ein Mann (Spion?) von zwei Ägyptern verprügelt wird. In der anschliessenden Szene empfängt Ramses, von Wedelträgern umgeben, die Huldigungen des Hofstaates. Am oberen Bildrand sind die anstürmenden Hethiter dargestellt, am unteren Bildrand erkennt man das Söldnerheer Ramses’ II., das sich aus dem zu den Seevölkern gehörenden Volk der Scherden rekrutierte. Von den ägyptischen Truppen sind sie durch ihre charakteristische Kopfbedeckung und ihre runden Schilde zu unterscheiden. Die letzte Szene des unteren Registers schildert das Kampfgetümmel zwischen Ägyptern und Hethitern.
Im oberen Register ist links aussen Ramses dargestellt, wie er, begleitet von einem Löwen, kampfesmutig mit gespanntem Bogen inmitten des feindlichen Heeres auf seinem Streitwagen steht. Die hethitischen Kampfwagen sind jeweils mit drei Kriegern besetzt, man erkennt die Hethiter an den viereckigen beziehungsweise ovalen, sich nach innen verjüngenden Schilden. Die ägyptischen Wagen sind dagegen nur mit zwei Soldaten besetzt, deren Schutzschilde sind viereckig mit oben abgerundeten Kanten. Ramses stürmt einer von einem Fluss umgebenen, befestigten Stadt entgegen, von deren Mauern aus bewaffnete Männer das Kampfgeschehen beobachten. Weiter rechts ist zu sehen, wie die Gefangenen vorgeführt werden und am äusseren rechten Rand ist Ramses als Triumphator auf seinem Wagen dargestellt, wie er die Huldigung der besiegten Feinde entgegennimmt.
In der rechten unteren Ecke befindet sich die Signatur des Künstlers, der allein dieses Relief geschaffen hat oder unter dessen Leitung es entstanden ist: der Leiter der Bildhauer Pjaj.